Hineingeschaut

Hineingeschaut - Das Vermeldungsbuch

Vermeldungsbuch 1933 bis 1938 - Archiv, Katholische Kirchengemeinde Salvator Lichtenrade

Ein Vermeldungsbuch? Es nennt doch nur Termine, Gottesdienstzeiten, früher die Aufgebote, gibt vielleicht Adressen an, weist auf Veranstaltungen hin. Das ist doch nur für die Gegenwart wichtig und bald darauf überholt. Und alles von bleibendem Interesse steht doch in der Chronik oder ist anderweitig festgehalten. Warum sollte ausgerechnet so etwas interessant sein und gehören Vermeldungen nicht eher in den Papierkorb, wenn sie verlesen sind?

Um die Antwort vorwegzunehmen: nein, Vermeldungsbücher gehören ins Pfarrarchiv und sind ein wichtiges Zeugnis für das Gemeindeleben. Warum, lässt sich am ältesten erhaltenen Vermeldungsbuch im Archiv von Salvator zeigen.

Dieses Vermeldungsbuch (Format 21,5 x 15 cm, Ganzleinen schwarz) umfasst den Zeitraum 30. April 1933 bis 16. Januar 1938. Die Eintragungen in schwarzer Tinte stammen, den Handschriften nach zu urteilen, von Prälat Theodor Grabe und Kuratus Wilhelm Lütkehaus. Der Text ist fortlaufend, Jahresübergänge werden – wenn überhaupt – nur durch einen Trennstrich kenntlich gemacht. In den letzten beiden Jahren finden sich häufiger Bleistift-Ergänzungen, es gibt einige undatierte Beilagen, deren zeitliche Zugehörigkeit man nur aus den Vermeldungstexten erschließen kann.

Tatsächlich enthält das Buch zu einem überwiegenden Teil normale Terminankündigungen: wann finden welche Gottesdienste statt, wann ist für welche Gemeindemitglieder Gelegenheit zum Kommunionempfang – damals war der allgemeine Empfang nicht üblich: Frauen und Mädchen, Männern und Jugendlichen oder Familien oder Schülern wurden bestimmte Gottesdienste zugewiesen (was wahrscheinlich auch mit dem damaligen Nüchternheitsgebot ab Mitternacht zusammenhing) – wann treffen sich welche Gruppen, wann ist Kommunionunterricht. Auf Maiandachten, Pfingstnovene, Gemeindefeste wurde hingewiesen. Die Kollekten wurden genannt und hier beginnt schon der für die Geschichte der Salvatorgemeinde interessantere Teil: man kann entnehmen, wann zum Beispiel für den Marienaltar gesammelt wurde, für die geschmiedete Kommunionbank, für den Kreuzweg von Grassl, für die Innenausstattung der Kirche. Da uns Rechnungen oder andere Belege für vieles nicht mehr vorliegen und das Inventarbuch oft nur sehr pauschale Angaben macht, auch das Sitzungsbuch des Kirchenvorstands nicht eindeutig ist, ist so ein Hinweis die einzige Möglichkeit, um eine Anschaffung zeitlich genau einordnen zu können.

In der Salvatorgemeinde wurde keine Chronik geführt. Sie entstand retrospektiv erst im Jahr 2000. Auch die Chronik der Heiligenstädter Schulschwestern vom Kinderkrankenhaus, von der sich eine Kopie in unserem Archiv befindet, ist gerade für die ersten Jahre 1932 bis 1948 rückblickend erstellt worden: Sie wurde von Pfarrer Dröder zusammengestellt und am Geburtstag der Ordensgründerin Hl. Maria Magdalena (Julie) Postel, am 16. Juli, vor 75 Jahren, 1948, der damaligen Oberin zu ihrem silbernen Ordensjubiläum überreicht. Beide Chroniken konnten also zu einem großen Teil nicht authentisch berichten, sondern waren auf andere Aufzeichnungen und Erinnerungen angewiesen.

Hinzu kommt, dass Chroniken, die immer ein wichtiger Bestandteil eines Pfarrarchivs sind, in der Regel auswählen müssen. Sie dokumentieren die großen Ereignisse in ihrem zeitlichen Ablauf. Das ursprüngliche Anliegen des kirchlichen Gesetzgebers, eine Chronik solle auch Urteile über Zusammensetzung, das soziale Umfeld und das Glaubensleben einer Gemeinde enthalten, kann, wenn Chroniken von Laien verfasst werden, nicht erfüllt werden. Im Gegenteil: Chronisten müssen sich dann eigener Urteile möglichst enthalten.

Wie aber soll man heute bestimmte Entwicklungen in einer Gemeinde oder auch im Bistum zeitlich einordnen oder erklären können? Auch hierbei kann das Vermeldungsbuch helfen. Hier einige Beispiele:

Am 3. Februar 1935 findet man den Hinweis, dass sich ein „geselliger Männerverein“ in der Gemeinde gegründet habe und zur ersten Sitzung am darauffolgenden Dienstag einlade. Er kümmerte sich später auch um die Einladungen und den Kartenverkauf für die Winterfeste der Gemeinde bis die Verantwortlichkeit 1938 plötzlich an den Kirchenchor überging. Den Grund dafür muss man nicht lange suchen: die katholischen Vereine wurden spätestens ab Herbst 1937 mehr und mehr in ihrem Tätigkeitsfeld eingeschränkt und verboten. Wahrscheinlich war ein Kirchenchor noch nicht so stark von diesen Maßnahmen betroffen.

Mehrfach wird erwähnt, das Kirchenblatt könne nicht ausliegen, weil es am Vorabend von der Geheimen Staatspolizei beschlagnahmt worden wäre (29. 4. 1934, 20. 5. 1934, 9. 1. 1938 u. ö.). Ich wunderte mich zunächst darüber, warum das für die gesamte Gemeinde verkündet wurde und nicht nur für die Abonnenten. Doch war das Kirchenblatt damals anders strukturiert als heute: Seit der Übernahme der Redaktion durch Dr. Carl Sonnenschein enthielt es als Beilage für jede Pfarrei deren Pfarrnachrichten, diente also ganz konkret auch zur Information der Salvatorgemeinde.

Am 21. März 1937, Palmsonntag, liest man nicht nur, dass vor dem Hochamt die Palmweihe und danach die Weihe der neuen Glocke sei, sondern auch „Heute Abend ist um ½ 8 Uhr Andacht mit Verlesung des II. Teiles des Hirtenbriefes auf ausdrücklichen Wunsch unseres hochw. Herrn Bischofs.“ Das bezieht sich auf die Verlesung der Enzyklika „Mit brennender Sorge“, deren Text bis zur Verlesung geheim gehalten wurde, damit der Staat die Verbreitung nicht unterbinden konnte.

Und ein letztes Beispiel: Unter den Beilagen befindet sich ein kopiertes Schreiben des Bischofs Konrad von Preysing an die Eltern im Bistum, in dem er sie ermutigte, auf ihrem Recht, ihre Kinder an einer katholischen Schule anzumelden, zu bestehen. Das Schreiben wurde am 8. Januar 1938 verlesen. Auch in diesem Fall gibt das Vermeldungsbuch Auskunft über die immer größer werdenden Schwierigkeiten im Gemeindeleben.

Bis zum nächsten „Hineingeschaut“, diesmal erst im September,

Ihre/Eure Regina Mahlke, Chronistin