Hineingeschaut

Hineingeschaut - Carl Kühn

Kostenvoranschlag von Architekt Carl Kühn 15. März 1913 - Katholische Kirchengemeinde Salvator-Lichtenrade, Archiv

Auf der Suche nach einem Thema für das heutige „Hineingeschaut“ stieß ich auf den morgigen 150. Geburtstag des Architekten Carl Kühn. Er wurde am 19. April 1873 in Köln geboren. Über seine Ausbildung ist wenig bekannt, doch studierte er 1895 an der TH Berlin, wurde dort sehr jung schon Assistent (1897) von Christoph Hehl und lehrte bis 1905 mit einer Unterbrechung für Bauleitertätigkeiten in Ulm und Freiburg im Büro seines Onkels Max Meckel. 1906 übernahm er bereits Arbeiten Hehls (Herz Jesu Zehlendorf) und 1909 dessen Lehrstuhl bis 1911. Er erbaute Mater Dolorosa und war ab 1926 in der Fürstbischöflichen Delegatur für Bauwesen als Referent, später als Leiter der Abteilung tätig. Mit Gründung des Bistums Berlin 1930 wurde er Diözesanbaurat. Im Juni 1942 starb er an den Folgen eines Schlaganfalls.

Doch wozu sollte man diesen Lebenslauf hier niederschreiben, zumal doch über den Architekten spätestens seit dem vor zwei Jahren erschienenen Buch von Dr. Konstantin Manthey (Carl Kühn 1873 – 1942 – Kirchen für das junge Bistum Berlin. – Berlin: Lukas Verl., 2021) alles gesagt ist? Was hat er mit Salvator zu tun?

Im Jahr 1913, kurz nachdem mit der St. Stephanus-Kapelle in der Bahnhofstr. 8 ein Gottesdienstraum für die Lichtenrader Katholiken geschaffen worden war, wurde klar, dass dieser Raum nicht den wirklichen Bedürfnissen genügte. Eine zunächst angedachte Erweiterung erwies sich aus baulichen Gründen als unmöglich. So beauftragte man Carl Kühn, eine Skizze zu einem möglichen Neubau zu entwerfen und bat ihn um einen Kostenvoranschlag. Beides reichte Kühn am 15. März 1913 dem Kirchenvorstand in Tempelhof ein. Warum Carl Kühn beauftragt wurde, lässt sich aus dem Salvator-Archiv heraus nicht klären. Man kann aber vermuten, dass ein gutes Verhältnis Kühns zum damaligen Pfarrer Innozenz von Strombeck von Einfluss war. Zwei Jahre später, 1915, baute Kühn dann auch an der Erweiterung der Herz-Jesu-Kirche in Tempelhof mit.

Der Entwurf für Lichtenrade (s. Chronik 1913) sah einen stark ausgebauten Turm zur Straßenfront hin vor, der – anders als etwa zeitgleiche andere Bauten oder Entwürfe Kühns (mit Christoph Hehl: Mater Dolorosa 1912; nicht ausgeführter Entwurf für die Friedhofskapelle des St. Matthias Friedhofs – später St. Fidelis, 1914), die barockisierende Formen aufwiesen – eher an brandenburgische Kirchen des Mittelalters erinnerte. Die Kirche sollte Platz für 12 Bänke mit 144 Sitzplätzen, sowie für 381 Stehplätze bieten. Die Möglichkeit, die Sitzplätze auf 198 zu erhöhen, war eingeplant. Im Turm sollten Sitzungssaal und Paramentenkammer eingebaut werden. Die Baukosten (ohne Innenausstattung) schätzte Kühn auf 60.000 Mark. Der Kirchenvorstand von Tempelhof billigte am 25. August, die Gemeindevertretung am 29. August 1913, diesen Plan und die Aufnahme eines Kredites in Höhe der Baukosten von der Teltower Kreissparkasse, die zuvor Pfarrer von Strombeck signalisiert hatte, dass sie bereit wäre, ein entsprechendes Darlehen zu gewähren.

Gescheitert ist das Projekt an der Ablehnung des Fürstbischöflichen Delegaten Karl Kleineidam (1848 – 1924, Delegat 1905 – 1920) und des Gesamtverbandes der Katholischen Kirchen Berlins. Der Delegat übermittelte die Entscheidung in einem Brief an Pfarrer von Strombeck: Er schicke Beschlüsse und Zeichnung zurück

„mit dem Bemerken, dass mir die Errichtung eines eigenen Gotteshauses in Lichtenrade vorläufig verfrüht erscheint, da das jetzige Lokal erst seit wenigen Monaten in Benutzung genommen ist und vor der Hand noch wird genügen müssen und da vor allem die zum Bau notwendigen Mittel fehlen.“  (Brief Fürstbischöfliche Delegatur vom 16. September 1913 I.-Nr. 4198/13 an Pfarrer von Strombeck Berlin-Tempelhof; Archiv der Katholischen Kirchengemeinde Salvator-Lichtenrade).

 

Kühn hatte später noch einmal mit Lichtenrade zu tun: Er erbaute die St. Nikolaus-Kirche in Blankenfelde. Auch hier passte er sich mit dem Holzverschalungsturm an lokale Vorbilder der Umgebung an. Die Kirche entstand 1936 als Lokalie von Salvator auf Initiative von Kuratus Lütkehaus. Im Salvator-Archiv gibt es dazu keine Unterlagen. Zeithistorisch interessant ist allerdings eine Bemerkung im Vermeldungsbuch vom 18. April 1937. An diesem 3. Sonntag nach Ostern wurde die Gemeinde zunächst auf die Einweihung der St. Nikolaus-Kirche in Blankenfelde am 25. April 1937 durch Domkapitular Bernhard Lichtenberg hingewiesen, der den erkrankten Generalvikar Paul Steinmann (1871 – 1937) vertrat. Darauf folgt der Satz:

Sehr wichtige Verhandlungen machen es notwendig, dieses für uns so frohe Ereignis in aller Stille zu feiern und von jeder äußeren Feier in Blankenfelde abzusehen.“ 

Am 25. April 1937 wird noch einmal auf die Weihe hingewiesen und auf eine nachmittägliche Festandacht mit Predigt von Pfarrer Felix Krajewski (1900 – 1989).

Was machte diese Zurückhaltung nötig?

Das Bistum hatte 1932 in Hermsdorf auf dem Gelände der Dominikanerinnen ein eigenes Priesterseminar eröffnet. Durch finanzielle Schwierigkeiten musste jedoch der Kauf rückgängig gemacht werden und das Seminar brauchte neue Räumlichkeiten. Diese hatte man im Dezember 1936 von der Süd-Berlin Boden AG erworben. Es handelte sich um den Gutshof des ehemaligen Rittergutes Blankenfelde am Rande der Dorfaue, bekannt als Schloss Blankenfelde. Der Kauf durch das Ordinariat musste allerdings noch von den Behörden genehmigt werden. Ende Januar 1937 erhoben verschiedene Gruppen Einspruch. Die Kleinsiedler und Eigenheimbesitzer, das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, NSDAP und Reichsarbeitsdienst protestierten. Der allgemeine Tenor dabei: Es solle in einer rein evangelischen Gegend eine „katholische Zelle“ entstehen, schließlich werde gerade die Kirche fertiggestellt. Ein Priesterseminar sei dem dörflichen und bäuerlichen Leben wesensfremd. Am 27. März und 7. April, also wenige Wochen vor der Einweihung von St. Nikolaus, versuchten Ordinariat und Gesellschaft noch einmal, das Geschäft rechtskräftig zu machen: dieses waren wohl die „wichtigen Verhandlungen“. Sie blieben erfolglos, im August erfolgte die endgültige Ablehnung. – Im März 1948 wurde übrigens das Gebäude aufgrund eines SMAD Befehls abgerissen, nur zwei Monate, bevor es auf einer Landesdenkmal-Liste erscheinen sollte…

Bis zum nächsten „Hineingeschaut“,

Ihre/Eure Regina Mahlke, Chronistin