Hineingeschaut – Die Schutzmantelmadonna

Der Mai gilt als Marienmonat. Besonders seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts werden in den Kirchen Maiandachten gefeiert, in denen die Gottesmutter um Hilfe und Fürbitte ersucht wird.

Wir singen in den Andachten Lieder wie „Maria, Maienkönigin“ nach einem Text von Guido Görres und (in Berlin) der Melodie von Anselm Schubiger (1845), einem Schweizer Benediktiner, der sich u. a. um die Erforschung der Tradition des gregorianischen Chorals in St. Gallen verdient gemacht hat. Oder, noch häufiger, „Maria, breit den Mantel aus“, dessen Text und Melodie aus Innsbruck von 1640 stammen, möglicherweise aber sogar 20 Jahre früher zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges in Böhmen entstanden sind.

Das Fest Maria, Hilfe der Christen, auch Schutzmantelfest genannt, das 1814 Papst Pius VII. einführte und auf den 24. Mai legte, spielt hingegen heute kaum noch eine Rolle und wird fast nur noch bei den Salesianern gefeiert.

Wir kennen das Bild Marias als Schutzmantelmadonna in unserer Salvator-Kirche gut, gibt es doch in der Seitenkapelle eine Plastik, die Maria mit dem Schutzmantel zeigt.

Das Motiv des Schutzmantels ist alt: in seiner ganz praktischen Form als Schutz vor Kälte taucht er bereits im Buch Exodus 22,25-26 auf. Auch in der Antike gab es Vorbilder. Marias Kleidung wird zuerst in Jerusalem, dann in Konstantinopel erwähnt. So soll ihr Gewand im 5. Jahrhundert nach Konstantinopel gelangt sein und wurde dort in der Blachernenkirche (452 von Kaiserin Aelia Pulcheria im Ortsteil Blachernae gestiftet) als Reliquie aufbewahrt. Seine Bedeutung wuchs nach 860 noch, als man ihm Schutz vor der Zerstörung der Stadt durch die Rus zuschrieb und meinte, Maria hätte ihren Mantel um die Stadt gelegt und sie so vor einer Übernahme bewahrt. Wahrscheinlich handelte es sich jedoch eher um eine Art verlängerten Kopfschleier, wie er etwa auf der Ikone der „Immerwährenden Hilfe“ – in Salvator in einer Kopie von Otto Grassl am Marienaltar – zu sehen ist.

Von Konstantinopel breitete sich der Glaube, die Madonna würde durch ihren Mantel Schutz gewähren, ab dem 8. – 10. Jahrhundert zunehmend aus. Zahlreiche Legenden entstanden. Im Mittelalter gab es auch im Recht die Idee, dass ein Mantel Hilfe gewähren könnte: Bedeckte eine höher gestellte Person eine andere mit ihrem Mantel, genoss letztere rechtlichen Schutz.

Zunächst fand die Verehrung der Gottesmutter als Schutzgewährende in Legenden und Gebeten ihren Ausdruck. Erst im späten 13. Jahrhundert gab es erste bildliche Darstellungen. Zwei Typen kristallisierten sich heraus: Maria breitet ihren Mantel über Gläubige aus und hält das Jesuskind auf dem Arm und die Darstellung ohne das Jesuskind, wie wir sie auch bei uns finden. Oft helfen Engel dabei, den Mantel aufzuhalten. Die Personen, die die Gottesmutter schützt, stellen bei uns eine Auswahl aus der Bevölkerung dar. Sie sind, anders als oft auf früheren Darstellungen, alle in etwa gleicher Größe als Vollfiguren, die zu Maria aufschauen oder den Betrachter ansehen, gezeigt. Nur ein Kind ist den Größenverhältnissen entsprechend sitzend zu Füßen der Madonna zu sehen. Auch birgt sich das Gebäude einer Kirche unter dem Schutz des Mantels.

Die Skulptur in unserer Kirche wurde vor 65 Jahren, am 1. Mai 1957 „nach der Abendpredigt“, wie die Chronik der Heiligenstädter Schulschwestern vom Kinderkrankenhaus zu berichten weiß, eingeweiht. Sie wurde von der Dresdener Bildhauerin Hildegard Jahn-Wiegel, geschaffen. Am 13. Juni 1922 in Heiligenstadt geboren und mit ihrer Familie in der Nähe des Bergklosters wohnend, besuchte sie die Schule der Schwestern, an der sie 1939 ihr Abitur ablegte. Von 1941 bis 1945 studierte sie Bildhauerei an der „Meisterschule des deutschen Handwerks“ in Hannover (heute Fachhochschule, allerdings seit 2008 ohne Bildende Kunst) und schloss 1947 – 1949 ein Studium an der Akademie der bildenden Künste in Dresden an, wo sie ab 1954 dauerhaft hinzog. In späteren Jahren kaufte sie dort ein Grundstück direkt an der Elbe und richtete dort auch ihr Atelier ein. Zahlreiche ihrer Werke befinden sich in Heiligenstadt in der Kirche des Redemptoristenklosters und an bzw. in der Schule des Bergklosters SMMP. Skulpturen schuf sie auch für Kirchen in Leuna und Thalwenden und viele Ortschaften des Eichsfeldes. Auch Flachreliefs für Fassaden zählen zu ihren Arbeiten. So restaurierte sie an der Semper-Oper die Masken an der oberen Westfassade des Gebäudes. In unserer Kirche stammt auch der Keramik-Kreuzweg auf der Seitenempore von ihr. Sie starb 2009 in Dresden.  

Die Künstlerin, deren Geburtstag sich im Juni zum 100. Male jährt, hat, so scheint es, mit ihrer Art der Darstellung den Nerv der Salvator-Gemeinde getroffen. Schon immer wurde die Schutzmantelmadonna hier verehrt. Wie sehr die Gemeinde sie schätzt, merkt man in diesen Wochen seit Ausbruch des Ukraine-Krieges ganz besonders an der großen Zahl der Opferkerzen und Blumen, die aufgestellt werden.  

Auch für die neue Pfarrei wird die Gottesmutter um Hilfe gebeten: Nach der Eröffnungsfeier am 30. April 2022 wurde der Skulptur der Gebetszettel mit den „10 Regeln der Gelassenheit“ unseres Pfarrpatrons, des Heiligen Johannes XXIII., zu Füßen gelegt.

 

Bis zum nächsten „Hineingeschaut“,

Ihre/Eure Regina Mahlke, Chronistin