Hineingeschaut – Heinrich Pesch, S. J.

Heinrich Pesch, 21. 12. 1924, Ausschnitt aus einem Foto der Benediktion der Salvatorkapelle, Katholische Kirchengemeinde Salvator Lichtenrade Chronik

Nach dem letzten Hineingeschaut über die Einweihung der Salvatorkapelle 1924 sprach mich unser Diakon darauf an, dass bei der Feier Pater Heinrich Pesch, S. J., anwesend gewesen wäre und dass man ihn auf dem Foto gut erkennen könne. In der Tat: es ist der Priester mit dem auffälligen Bart links von Weihbischof Johannes Deitmer.

Wer war eigentlich dieser Jesuiten-Pater und was hatte er mit Lichtenrade zu tun, lässt sich darüber überhaupt noch etwas herausfinden? fragte ich mich.

 

Heinrich Pesch wurde am 17. September 1854 in Köln geboren. Schon 1858 zog die Familie nach Bonn, wo Heinrich Pesch das Gymnasium besuchte und 1872 zunächst ein Theologiestudium begann, 1873 aber zu Rechts- und Staatswissenschaften wechselte. Schon bald trat er dem katholischen Studentenverband Unitas bei, dem er zeitlebens angehörte. 1876 trat er in den Jesuitenorden ein. Es folgten Studienjahre in den Niederlanden und 1881-84 eine Zeit als Lehrer in Feldkirch, 1885 – 88 schließlich vier Jahre in Ditton Hall, Lancashire, England, wo er 1887 die Priesterweihe empfing. An Aufenthalte in Böhmen und Wien schloss sich eine 8-jährige Tätigkeit als Spiritual in Mainz an. 1901 - 1903 entschloss er sich zu einem Studium der Nationalökonomie in Berlin.

Es zeichnete sich ab, dass Pesch eine schriftstellerische Tätigkeit anstrebte und er zog sich dafür 1903 – 1910 in ein Schriftstellerheim des Ordens in Luxemburg zurück. In dieser Zeit machte sich erstmals eine schwere Zucker- und Herzkrankheit bemerkbar, die ihn bis zu seinem Tode 1926 immer wieder zu Kuraufenthalten zwang. 1910 siedelte er in das Kloster Vom guten Hirten in Berlin-Marienfelde um. Dort arbeitete er an seinem bedeutendsten Werk, dem Lehrbuch der Nationalökonomie (5 Bände, 1905 – 23) und seiner Lehre des Solidarismus, die ihn zum Vordenker der katholischen Soziallehre werden ließ. Seine Lehren bildeten eine der Grundlagen der 1931 von Papst Pius XI herausgegebenen Sozialenzyklika „Quadrogesimo anno“ und durch die Vermittlung seiner Schüler und Nachfolger Gustav Gundlach und Oswald von Nell-Breuning setzten sich seine Gedanken bis in die soziale Marktwirtschaft fort. Heinrich Pesch war und blieb jedoch immer auch Priester und Seelsorger. Er schrieb in seiner Autobiographie

Jetzt (seit 1910) arbeite ich mit in der Seelsorge bei den ärmsten der Armen, den Opfern des Großstadtlebens, im Kloster vom guten Hirten zu Berlin-Marienfelde. Niemals habe ich die Bedeutung der Familie für den Menschen so klar erkannt, wie hier bei diesen verschüchterten Mädchen. Was wäre aus diesen armen Kindern geworden, wenn sie einen guten Vater, eine gute Mutter gehabt hätten! Es ist mir ein besonderer Trost, den Kranken die Krankheit und die letzte Stunde zu erleichtern, den Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Meist bin ich dann der einzige Leidtragende, der hinter dem Sarge jener einsamen Menschen geht. Von denjenigen, die den armen Kindern einst geschmeichelt, von Liebe, einer Liebe ohne Achtung, gesprochen, läßt sich niemand sehen.“ (in Die Volkswirtschaftslehre der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Leipzig 1924. S. 17[=207])

Pesch war als humorvoll, liebenswürdig und zugeneigt bekannt. Er hatte einen guten Blick für die Nöte und Sorgen der Menschen.  

So seine Gesundheit es zuließ, war er oft in Lichtenrade. In der Beschreibung der Benediktion der Kapelle heißt es

„Mit besonderer Dankbarkeit und Freude begrüßte die junge Kapellengemeinde die Anwesenheit des ihr durch wiederholte seelsorgliche Aushilfe wohlbekannten Herrn Pater Heinrich Pesch, der seit Jahren in der Stille des Klosters Marienfelde seiner wissenschaftlichen Tätigkeit obliegt.“ (Zeitungsausschnitt im Archiv von Salvator)

und in der Chronik von Herz Jesu

„… nahm als lieber Gast Herr Pater Heinrich Pesch, S. J. teil, der seit Jahren der schriftstellerischen Tätigkeit im nahe gelegenen Kloster Marienfelde sich widmet.“

Gustav Gundlach, der seine wissenschaftliche Arbeit fortsetzte, beschrieb es in seinem Nachruf so

„… half in mancher Berliner Vorortskapelle gern auf der Kanzel und im Beichtstuhl aus. Freilich brauchte er in späteren Jahren als Prediger wenig Vorbereitung. Es genügte z. B., wenn der allbekannte, allbeliebte Mann mit dem Patriarchenbart vor der kleinen Diasporagemeinde von Berlin-Lichtenrade erschien, als Predigt eine halb geistliche, halb weltliche Erzählung auslegte, und – die Erbauung war da.“

(in Mitteilungen aus den Deutschen Provinzen, 11. Bd, Nr. 90 – 94, 1927 – 1929, S. 12 – zit. mit Dank an Dr. Clemens Brodkorb, Archiv der  Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten, München)

Leider hat die Gemeinde Vom guten Hirten keine Unterlagen, wann und wie häufig Pater Pesch in Lichtenrade wirkte. Auch in unserem Archiv konnte ich bislang nichts darüber ausfindig machen. Der Nachlass des Paters soll 1942 in Valkenburg, NL, wo Pesch in den letzten Monaten lebte, durch SS-Truppen vernichtet worden sein.

Viel ist es also nicht, was sich heute noch rekonstruieren lässt über diesen bedeutenden Sozialwissenschaftler, aber die überlieferte Beliebtheit zeugt von einem Menschen, der seinen Glauben bescheiden und immer hilfsbereit lebte und damit die Herzen der Gemeindemitglieder eroberte, einem Priester, bei dem bei aller Gelehrtheit immer die Seelsorge, das Da-Sein für seine Mitmenschen, an erster Stelle stand.

 

Bis zum nächsten „Hineingeschaut“,
Ihre/Eure Regina Mahlke, Chronistin