Bei der Vorbereitung des letzten „Hineingeschaut“ fiel mir in einem Ordner, in den sie inhaltlich gar nicht hineingehörte, eine 55 Jahre alte Rechnung der „Werkstätten für Kirchengeräte. Feine Metallarbeiten. Gold- und Silberschmiede Johannes Schlüter“ vom 4. Februar 1967 in die Hände. Sie bezieht sich auf den Tabernakel des „Nebenaltars“ und ist damit (bislang?) die einzige Quelle zu unserem zweiten Tabernakel.
Wie ist das eigentlich mit dem Tabernakel in katholischen Kirchen? Während im Mittelalter noch verschiedene Formen vorkamen, z. B. über dem Altar schwebend angebrachte Behältnisse oder in Wandnischen eingebaute, die die Behälter für die konsekrierten Hostien für die Krankenkommunion aufnahmen und auch fest auf dem Altar im Retabel eingebaute Schränkchen oder freistehende Sakramentshäuschen oder Türme, setzte sich in nachmittelalterlicher Zeit ab dem Barock dann der Altartabernakel, der fest auf dem Hauptaltar steht, mehr und mehr durch. Direkte Vorschriften für den Standort gab es aber nicht, die Entscheidung blieb den Bischöfen der einzelnen Diözesen vorbehalten. Erst der Codex Juris Canonici (CIC) von 1917 empfahl eindeutig den Platz auf dem Altar.
Der (auch üblich: das) Tabernakel sollte für alle Gläubigen gut sichtbar an einem zur Anbetung geeigneten Ort stehen. Das 2. Vatikanische Konzil hat dann die Christusbegnung in der gesamten Eucharistiefeier hervorgehoben und schließlich in seiner Konstitution über die Liturgie, Sacrosanctum Concilium, im Dezember 1963 dazu aufgefordert, die Liturgie zu reformieren und den bislang zentralen Standort für den Tabernakel, der während des Gottesdienstes nun keine große Bedeutung mehr hatte, zu überdenken. Das führte dazu, dass die maßgeblichen Vorschriften sich änderten und nun im CIC 1983 Can. 938 § 2 die Formulierung lautet:
Der Tabernakel, in dem ständig die heiligste Eucharistie aufbewahrt wird, muss sich an irgendeinem hervorragenden Platz der Kirche oder Kapelle befinden, der gut sichtbar, kunstvoll ausgestattet und zum Gebet geeignet ist.
In der „Grundordnung des Römischen Messbuchs“ § 315 heißt es:
Wegen der Zeichenhaftigkeit ist es eher angebracht, dass auf dem Altar, auf dem die Messe gefeiert wird, kein Tabernakel steht, in dem die Allerheiligste Eucharistie aufbewahrt wird.
Die „Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung von gottesdienstlichen Räumen“ (Hrsg.: Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz) folgen dem, mit der Empfehlung, den Tabernakel deutlich vom Altar getrennt aufzustellen (Kap. 5.4).
Diese neuen Vorgaben werden 1967 nach der erfolgten Umstellung / Neugestaltung des Altars der Anlass für die Anschaffung eines zweiten Tabernakels gewesen sein, den man auf den Marienaltar stellte. Auch das Ewige Licht, das bei einem Tabernakel brennen soll, in dem die Eucharistie aufbewahrt wird, wurde nach 1967 von der Mitte des Altarraums an die rechte Seite, also in größere Nähe zum Marienaltar, umgehängt.
Für die künstlerische Gestaltung eines Tabernakels gibt es kaum Vorschriften. Er sollte aus festem, haltbarem, bruchsicherem Material bestehen, das nicht durchsichtig ist und fest verschlossen sein. Im Innern soll er mit weißer Seide ausgekleidet werden, wenn er nicht vergoldet ist. Das Äußere sollte würdig geschmückt sein, allerdings darf der symbolische oder ikonographische Schmuck nicht direkt auf die Eucharistie Bezug nehmen.
Und so fertigte die Firma Johannes Schlüter einen doppelwandigen, feuergeschützten Tresor mit einem Außenmantel aus Kupfer, das versilbert wurde, innen goldgespritzt und mit Seide ausgekleidet.
Auf der Vorderseite befindet sich ein Lamm mit Kreuzesfahne (Kreuz: rote Emaille).
Das Lamm Gottes taucht schon seit dem 7. Jahrhundert als Symbol der Eucharistie auf. Papst Sergius I. (687 – 701) – der übrigens auch das Fest Kreuzerhöhung einführte, das wir am 14. September feierten – führte das „Agnus Dei“ endgültig in die römische Messliturgie ein. Schon im 5. Jahrhundert begleiteten entsprechende Gesänge das Brotbrechen, das als Hinweis auf das Leiden und Sterben Christi gedeutet wurde. Sie hatten da noch den Charakter einer Litanei und wurden so lange gesungen, wie die Brotbrechung dauerte. Als dann vom 9. bis 12. Jahrhundert das Brotbrechen immer mehr verschwand, reduzierte sich der Gesang auf den uns heute bekannten dreimaligen Ruf, der als letzter in den Gesängen des Ordinariums steht. Erst das 2. Vatikanische Konzil brachte das Agnus Dei, das in der Zwischenzeit teilweise zum Friedensgruß oder zur Kommunion gesungen wurde, wieder stärker mit dem Brotbrechen in Verbindung.
Die Darstellung mit der Kreuzesfahne stellt außerdem den Bezug zum siegreichen Lamm Gottes her, zum Sieg Christi über den Tod und damit zur Auferstehung.
Von wem der Entwurf für die Ausgestaltung des Tabernakels stammt, ist unklar. Johannes Schlüter schreibt in seiner Rechnung „fertigte ich: Tabernakel nach Zeichnung“. Dies kann bedeuten, ihm wurde eine Zeichnung dafür übergeben, aber auch, dass Schlüter selbst den Entwurf schuf.
Und schließlich haben wir auch keine Nachrichten über den Goldschmied selbst. Ab 1957/58 ist er in den Telefonbüchern Berlins unter „Kirchengoldschmied“ in der Skalitzer Str. 101 verzeichnet bis 1971/72. Nachfolger sind dann unter dieser Adresse Woitschach & Sopart, die unter Gold-, Silber- und Kupferschmiede firmierten. Mit dem gleichnamigen Goldschmied in Wilmersdorf und den Juwelieren in Braunschweig gleichen Namens hatte er nichts zu tun.
Später - nach 1997? – wurde der Tabernakel in das Ministrantenchörchen umgestellt und dient heute zur Aufbewahrung der konsekrierten Hostien (hauptsächlich) während des Triduums ab Gründonnerstag.
Bis zum nächsten „Hineingeschaut“,
Ihre/Eure Regina Mahlke, Chronistin